Pergament, 17 Seiten
2017 Ankauf durch den Verein der FREUNDE für das JMW
1792: In Frankreich tobt die Revolution. Marie Antoinette bleibt nur noch ein gutes Lebensjahr vor ihrem Gang zum Schafott, als in Wien am 1. März ihr Neffe Franz die Regierungsgeschäfte von seinem überraschend früh verstorbenen Vater Leopold II. übernimmt. Noch vor seiner Krönung zum ungarischen König im Juni 1792, vor seiner Krönung zum römisch-deutschen Kaiser am 14. Juli in Frankfurt/Main und zum König von Böhmen am 9. August in Prag unterschreibt Franz II. am 13. April eigenhändig eine ganz besondere Urkunde. Es handelt sich um eine der ersten habsburgischen Adelstandserhebung für einen Juden.
Mit diesem Adelsdiplom verleiht Franz II. Hermann Wertheimer den Titel „Edler von Wertheimstein“. Die Urkunde umfasst in einem dunkelroten Samteinband 17 Pergamentseiten inklusive einer prächtigen Wappendarstellung, die von Rocaille-Kartuschen mit königlichem ungarischem und böhmischem Wappen gekrönt wird sowie ein Majestätssiegel in einer Messingkapsel.
Die Familie Wertheimer stammt ursprünglich aus Worms. Ein Jahr nach Abschluss der Zweiten Wiener Türkenbelagerung 1683 begründet Samson Wertheimer (1658–1724) in Wien eine der reichsten und angesehensten Familien des Heiligen Römischen Reiches (siehe auch das Objekt: „Memorbuch von 1724„). Samson wird später alleiniger Kreditgeber der österreichischen Regierung und zum kaiserlichen Hoffaktor ernannt. Doch trotz seiner finanziellen Mittel bleibt ihm als Jude die Nobilitierung und damit eine entscheidende Eintrittskarte in die aristokratisch organisierte Ständegesellschaft versagt. Diese Rangerhöhung erlangt erst ein Nachkomme von Samson, nämlich Hermann Wertheimer.
Hermann Wertheimer Edler von Wertheimstein (1753–1812) ist der Begründer eines bedeutenden Großhandelskaufhauses. Doch trotz seines Reichtums und seiner 1792 erfolgten Nobilitierung bleibt ihm der Erwerb von Wohneigentum in der Reichshaupt- und Residenzstadt Wien als Jude versagt. So wohnt er mit seiner Familie in einem Haus Ecke Weihburggasse/Franziskanerplatz bei einem Grafen zur Miete. Als er nach einem Schlaganfall im Alter von 59 Jahren stirbt, führt seine Ehefrau Henriette geb. Herzberg (1761–1824) das Großhandelskaufhaus „Hermann von Wertheimstein“ weiter, bis ihre Söhne alt genug sind, um die Firma übernehmen zu können. Die Gräber von Henriette und Hermann Wertheimstein befinden sich auf dem jüdischen Friedhof von Wien-Währing in der Gruppe 3. Die beide schönen Grabsteckplatten tragen das Wappen der Wertheimsteins mit dem springenden Hirsch. Hermanns und Henriettes Sohn Sigmund Edler von Wertheimstein (1797–1854) führt die Geschäfte des Vaters weiter als k.k.privilegiertes Grosshandlungshaus Hermann von Wertheimsteins Söhne und wird in späteren Jahren sogar Direktor der 1816 gegründeten Österreichischen Nationalbank.
Hermann von Wertheimstein dürfte, wie fast alle Namensträger, 1942 am Währinger Friedhof exhumiert und zwecks NS-Forschung ins Naturhistorische Museum Wien verschleppt worden sein. 1947 wurden 16 Familienmitglieder am Zentralfriedhof Tor 4, Gruppe 14, Reihe 2, Nr. 8 wiederbestattet. Mittlerweile ist dieses Sammelgrab als eines der Ehrengräber durch die Stadt Wien gewidmet.
Foto Grabstein: Wolf-Erich Eckstein